Höllenritt in die Untiefen der Zwischenmenschlichkeit: Miet Warlops »Mystery Magnet«

Die CAMPO-Produktion Mystery Magnet der Belgierin Miet Warlop wagt einen Versuch darüber, was passieren kann, wenn der Fantasie von Ausgeschlossenen freier Lauf gelassen wird.
Da liegt eine Figur rücklings am Boden, der dicke Bauch ragt ordentlich in die Höhe. So ein fetter Typ. Dann steht er auf und sitzt am Rand der Bühne auf einem winzigen Hocker, bei sich nur ein Plastiksackerl mit Luftballons. Er ist ganz allein und sieht sich verunsichert, aber neugierig um. Was kommt auf ihn zu? Und uns? Der Höllenritt beginnt.

Nach und nach betreten immer mehr absurde Figuren die Bühne, sie kommen von hinten. Die Mauer, die die Bühne in ein Vorne und ein Hinten teilt, ist ihr Versteck. Mal sind es riesige Anzughosen ohne Körper, mal eine Reiterin auf einem menschlichen Pferd oder gesichtslose Frauen mit riesigen bunten Perücken. »Der Dicke« gehört nicht zu ihnen. Es ist ganz klar: Er trägt einen Fatsuit, er ist anders, und allein. Wir befinden uns in seinem Kopf, im Kopf des Ausgeschlossenen und so lässt er seiner Fantasie freien Lauf. Wird er zunächst noch ausgelacht, von den unbemannten Anzughosen sogar angepisst und später von fliegenden Dartpfeilen attackiert oder mit einem Miniauto überfahren, wehrt er sich. Und diese Rache fällt übel aus: Er beginnt die diversen Figuren zu quälen und zu massakrieren. Als er versucht, die Wand zu durchbrechen, hinter der die Gestalten lauern, bleibt er mit seinem Bauch stecken und verendet. Der Tod fällt hier sehr farbenfroh aus, literweise fließt bunte Farbe aus den Figuren. Die beginnen dann nämlich – nachdem der Andere beseitigt ist – sich gegenseitig zu töten. Da werden Keramikscherben am Boden verteilt, mit elektrischen Messern, Tackern und chemischen Reaktionen gequält.

Das Ganze gestaltet sich wie ein Kabinett der Absurditäten, eine Verrücktheit folgt auf die andere und wie die Figuren verenden, ist stets kreativ und vor allem: sehr humorvoll. Das ist auch das Erfolgsgeheimnis der belgischen Choreographin Warlop. Die von CAMPO und Vooruit Gent koproduzierte Arbeit tourt bereits seit 2012 und wurde in zahlreichen Städten gezeigt. Das Geschehen ist grausam und mit welchem Eifer sich die Figuren gegenseitig abschlachten, ist erschreckend, aber man kann nicht wegschauen. Es ist mehr als die immer wieder überraschenden, teils pyrotechnischen, teils chemischen Reaktionen, es ist vor allem der kreative Humor, der hier überzeugt und dem grauslichen Gemetzel eine weitere Ebene verleiht. Denn immer wieder erinnern die Handlungen und Gemeinheiten an das gesichts- und hemmungslose Haten in sozialen Netzwerken: der Eine, der anders aussieht, als die Anderen, wird ausgegrenzt, wird fertig gemacht. Von Gesichtslosen, von Anzughosen (die wohl nur eine kapitalistische Referenz sein können), von riesigen Perücken. Das hinterlässt Spuren. Er wehrt sich, in seinem Kopf geht der Höllenritt los und das bunte Abschlachten beginnt. So müssen wir uns fragen, ob wir hier denn überhaupt in den Kopf dieses Typen schauen oder ob es nicht wir selbst sind, die hinter der Mauer lauern.